
Bindung – bereits in der Schwangerschaft lerne und lese ich viel über die Macht der Bindung. Das verändert nicht nur meine Karriere-Pläne. Es ist der erste Schritt zu einem neuen Lebenskonzept. Ich erzähle dir unsere Geschichte – und möchte denen Mut machen, die Angst haben, sie könnten keine guten Eltern sein.
Lesezeit: 10 Minuten
Bindung durch die Brille der eigenen Kindheit
Bevor Merlin geboren wurde, dachte ich, es sei in Ordnung, Kinder mit 5 oder 6 Monaten in einer Kinderkrippe abzugeben. Ich glaubte, dass Kinder gehorchen und sich in das Leben der Erwachsenen integrieren müssten. Nach dem Motto: Don’t disturb, please.
Nach dem Motto meiner Kindheit.
Bindung – was ist das eigentlich?
Bindung ist ein tief in unserem Gehirn verwurzeltes Bedürfnis, ein archaisches Programm, das wir mit allen Säugetieren gemein haben. Säuglinge sind vom ersten Tag an auf ihre Mütter, Väter oder andere primäre Bindungspersonen, angewiesen. Alles, was Säuglinge tun, zielt darauf ab, die elterliche Aufmerksamkeit zu erlangen, damit wir sie bestmöglich versorgen. Bindung ist ein Überlebensmechanismus.
Warum Bindung wichtig ist
Forscher*innen konnten eindeutig klären, warum Bindung in der Erziehung wichtig ist: Wie wir auf die kindlichen Signale reagieren, wie gut wir das Bedürfnis nach Bindung erfüllen, entscheidet darüber, ob ein Kind sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Ob es mit Urvertrauen durch die Welt gehen und sich sicher und geborgen fühlen wird. Wie das alles zusammenhängt, erklärt die Bindungstheorie.
Bindungstheorie: Wer hat die Bindungstypen erfunden und welche gibt es?
Die Bindungstheorie entwickelten der Kinderpsychiater John Bowlby und die Psychologin Mary Ainsworth Mitte des 20. Jahrhunderts. Noch heute bildet sie die Grundlage der Bindungsforschung.
Bindung ist das gefühlsbetragende Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet. (John Bowlby)

MERKE Bindung steht immer vor Bildung. Nur wenn sich Kinder sicher und geborgen fühlen, entdecken sie neugierig ihre Welt.
Bindungstypen – erkennst du dich wieder?
1. Sichere Bindung:
Die sichere Bindung entsteht, wenn du deinem Kind ausreichend lang Schutz und Sicherheit gegeben hast. Wenn du einfühlsam auf seine Bedürfnisse eingegangen bist, ihm Führung und Respekt entgegengebracht hast. Gehörst du zu den Menschen, die ihre innere Stimme klar und deutlich hören?
2. Unsicher-ambivalente Bindung:
Das Kind hat Bestrafung und Belohnung erlebt. Es hat doppelte, also widersprüchliche, Botschaften gehört und ist bewertet worden. Hast du oft Angst, dich für deine Belange einzusetzen und Tacheles zu sprechen?
3. Unsicher vermeidende Bindung:
Die Bedürfnisse unsicher-vermeidend gebundener Kinder sind nicht ausreichend befriedigt worden. Diese Kinder vermeiden Kontakt, um den Schmerz nicht zu spüren, wenn sie abgewiesen werden. Denn das sind sie gewohnt. Gehörst du auch zu denjenigen, die schwer um etwas bitten können?
4. Desorganisierte Bindung:
Kinder, die psychisch oder physisch misshandelt wurden (z. B. Gewalt, Missbrauch, Ignorieren als Bestrafung) weisen oft desorganisiertes Bindungsverhalten auf. Ihre Reaktionen sind oft impulsiv und widersprüchlich aufgrund ihrer Traumatisierungen. Reagierst du manchmal heftig und kannst dir deine Reaktion nicht recht erklären? Überwältigen dich heftige Gefühle, die der Situation nicht angemessen erscheinen?

Bindungsstörungen: Die unsichere Bindung hat ihre Gründe
Nach einem Blick auf die Brisch-Bindungs-Grafik wird klar, warum viele Eltern zunächst Schwierigkeiten haben, sich auf ein Neugeborenes einzulassen. Das zeigt sich manchmal in einer fehlenden pränatalen Bindung durch Gefühle der Gleichgültigkeit, Wut oder Ablehnung des Babys. Unser genetisches Bindungs-Programm kann in diesem Fall aufgrund eigener negativer Bindungsmuster nicht richtig arbeiten. Es ist, als stünde etwas zwischen uns und dem Baby, das wir nicht benennen können.
Depressive Mütter und Bindung
Manche Mütter entwickeln aufgrund ihres Bindungsmusters eine postnatale Depression, die sogenannte Wochenbett-Depression. Wenn du das Gefühl hast, dich nicht ausreichend auf dein Baby einlassen zu können, hole dir Hilfe. Und werde dir bewusst, dass du keine Schuld an deinen Gefühlen trägst.
Durch das innere Kind die Bindung zum Baby stärken
Bei Bindungsproblemen, ob nach der Geburt oder später, geht es oft um Erinnerungen an die eigene Kindheit. Die werden durch unsere Kinder wachgerufen und getriggert. Wir spüren sie als unangenehme körperliche Reaktionen und Gefühle, die wir nicht zuordnen können. In diesen Momenten ist unser eigenes Inneres Kind in Not und wir sind kaum noch in der Lage, adäquat zu handeln.
Not als Chance für eine sichere Bindung
Und ich sage dir: Nie zuvor habe ich diese Not so heftig gespürt wie im Zusammensein mit meinem Kind. Gleichzeitig ist der bewusste Umgang damit meine größte Chance, sie nachhaltig zu heilen.
Wenn du an dieser Stelle Unterstützung brauchst, empfehle ich dir Kathy Weber, Saskia John, Carolin Hintermair oder Pia Clausnitzer.
Schuldgefühle sind schlechte Ratgeber – und gute Hinweisschilder
Wo auch immer es knirscht im Bonding-Prozess – jede Herausforderung hilft dir, zu heilen und die Bindung zu deinem Kind zu stärken. Ein schlechtes Gewissen tut das Gegenteil. Es ist vielleicht Ausdruck deines Bedürfnisses, ein guter Elternteil zu sein. Mehr darüber erfährst du in meinen Impuls-Beiträgen zur gewaltfreien Kommunikation auf Instagram und in meinem Artikel über Mutterinstinkte und elterliche Intuition.

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Mythos Mutter
Um einem hartnäckigen Mythos den Garaus zu machen: Säuglingen ist es vollkommen egal, ob die primäre Bindungsperson Mutter, Vater, Tante oder Nachbar ist – es will überleben, sonst nichts. Und wer dafür sorgt, ist zunächst zweitrangig. „Kinder brauchen ihre Mutter!“, höre ich oft. Falsch. Kinder brauchen einen einzigen Menschen, der bereit und in der Lage ist, auf ihre Signale einfühlsam zu reagieren. Wenn du das mal nicht schaffst, hole dir Hilfe. Schon Babys sind in der Lage, sich auch an andere Menschen sicher zu binden.
Wir Mütter müssen nicht alles allein schaffen!
Tipps dazu findest du in meinen Artikeln über die Großfamilie 2.0 und Die erste Zeit mit Baby. Außerdem hilft dir vielleicht mein Interview mit Saskia John weiter.
Kindliche Bedürfnisse erfüllen
Im Grunde haben alle Menschen die gleichen Bedürfnisse. Neben Nahrung, warmer Kleidung und einem sicheren Schlafplatz (elterliche Fürsorge), brauchen Kinder unseren Schutz für ihre körperliche und emotionale Sicherheit. Sind sie dahingehend versorgt, brauchen Kinder Zuwendung. Sie wollen, dass wir sie wahrnehmen, verstehen, schützen und lieben. Dass wir einfühlsam auf ihre Signale eingehen und lernen, ihre „Sprache“ zu verstehen.
The deeper we can cultivate the relationship with or children, the more they can hold on to us when physically not with us. (Gordon Neufeld)

Es ist unsere Aufgabe, sie anzunehmen, wie sie sind und ihre Würde zu achten. Wenn uns all das öfter gelingt als es uns misslingt, entsteht eine „sichere Bindung“. Sie ermöglicht unseren Kindern, die Welt zu erkunden. Sicher gebundene Kinder gehen mit einem Gefühl innerer Stärke und Sicherheit durch ihr Leben. Kurz: Sie haben Urvertrauen. Und finden Lösungen aus sich selbst heraus, fühlen sich machtvoll und verbunden mit sich und anderen Menschen.
Bedürfnisse erfüllen, Bindung stärken und bewahren – die Natur gibt uns Rückenwind
Wenn Menschenkinder auf die Welt kommen, sind sie mit allem ausgestattet, was sie brauchen, um sich sicher zu binden. Und wenn sie weise Eltern haben, erledigt die Natur den Rest. Weise ist, wer dafür sorgt, dass sich Kinder …
- geliebt und gemocht;
- zugehörig;
- auf der selben Seite wie die Eltern;
- wertgeschätzt;
- wichtig;
- von Herzen angenommen und
- verstanden fühlen.
9 praktische Beispiele bindungsorientierter Erziehung
- Kind einfühlsam in den Schlaf begleiten, es weder schreien noch allein lassen beim Einschlafen
- Schlaf- und Trinkrhythmus nach den Bedürfnissen des Kindes anpassen
- Nach Bedarf des Kindes Stillen und Füttern
- Erkennen, wann sich das Kind überfordert / gelangweilt fühlt und Bindungsangebote machen, z. B. gemeinsam spielen, lesen, musizieren, kuscheln etc.
- Verstehen, wann das Kind überfordert ist und ihm Raum und Ruhe geben, ohne es zu verlassen
- Trösten, wenn es Angst hat oder irritiert ist, nicht ablenken
- Gefühle des Kindes benennen und nicht versuchen, sie ihm auszureden (Beispiel: „Ich sehe, du hast gerade große Angst!“ statt „Du brauchst keine Angst zu haben“.)
- Gefühle des Kindes ernst nehmen, auch, wenn sie uns unangenehm sind
- Ermöglichen von Entscheidungsfreiräumen, entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand (Beispiel: Kleiderauswahl)

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Fazit – euer Weg, eure Entscheidung, euer Tempo
Ab wann Bindung zum Ungeborenen beginnt, entscheidest du. Und dein Bindungsmuster entscheidet mit. Egal, wie viel du gelesen und gelernt hast. Lass dir Zeit für deinen und euren Prozess der Heilung. Wir alle haben in unserer Kindheit Verletzungen davongetragen. Und für jedes Elternteil kommt der Tag, an dem unsere Kinder diese Verletzungen ans Licht bringen.
Ich selbst verabschiede mich gerade von der Kleinkind-Zeit, die ich nicht so nutzen konnte, wie ich es mir gewünscht hatte. Auch wenn ich vieles richtig gemacht habe – ich trauere um unzählige verpasste Momente mit meinem Kind. So gern wäre ich schon vor 3 oder 4 Jahren in der Lage gewesen, mit ihm zu spielen und dabei Leichtigkeit zu spüren. Ich konnte es nicht. Noch nicht.
Schaue auf das, was funktioniert
Heute bin ich stolz auf mich, dass ich diese Trauer spüren kann. Stolz darauf, dass ich meinen Anspruch, alles besser, alles richtigzumachen, aufgeben konnte. Ich habe gelernt, das schlechte Gewissen als Hinweis-Schild auf unerfüllte Bedürfnisse zu nutzen. Gelernt, dass es nie zu spät ist, Bindung zu stärken.
Bindung braucht Zeit
Merlins Schulstart war und ist für uns eine Herausforderung. Und weil ich jetzt so weit bin, stelle ich mich. Ganz bewusst habe ich mich entschieden, meine Arbeit zugunsten von Merlin zurückzustellen. Oft diente sie mir als emotionaler Schutzschild. Bewahrte mich vor Konflikt und innerer Not. Und stand damit zwischen meinem Kind und mir.
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In ein paar Stunden setze ich mich ins Auto und hole meinen Jungen von der Schule ab. Bei dem Gedanken kribbelt es im Solarplexus vor Freude. Das war nicht immer so. Früher spürte ich dort oft Angst. Angst vor uralten, schlimmen Gefühlen, die das Lachen, Weinen, Schreien oder Wüten meines Kindes in mir wieder lebendig machten.
Möchtest du wissen, ob ich glaube, dass ich eine gute Mutter bin? Ich halte es wie der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott . Denn der war überzeugt davon, dass „a good enough mother“ vollkommen ausreicht. Und gut genug – ja, das sind wir, don’t you think so?
Attachment is the strongest force in the universe. (Gordon Neufeld)
Ich freue mich, dass ich dir heute meine Geschichte erzählen konnte. Und danke, dass du sie gelesen hast! Ich glaube, dass wir Ver-Bindung gerade mehr als alles andere brauchen. Das bedeutet auch, dass wir anerkennen und teilen, wie wir uns wirklich fühlen, was uns wichtig ist und was wir brauchen. Dafür stehe ich, dazu lade ich dich ein.
Stay risky. It’s worth while.

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