Regretting_Motherhood

Regretting Motherhood – ein Tabu soll aufgebrochen werden. Mütter sollen sich endlich outen dürfen: „Die Entscheidung Mutter zu werden war falsch.“ Ein unerwartetes Ereignis hat mich mit der „kinderlosen Frau“ in mir konfrontiert.

Freiheit

Seit ein paar Tagen wohne ich mit Wilma und Whiskey, meinen Weibern, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einer Kleinstadt in Sachsen. Morgens stehe ich auf, die Sonne blinzelt in mein Fenster und das erste, was ich sehe, ist eine rhythmisch klopfende Hunderute. Sie gehört Wilma und es sieht aus, als verhaue sie meine Bettdecke. Es ist sonst still in Wolkenkuckucksheim. Das Geschirr von gestern begrüßt mich klebrig und ich überlege, ob ich es nachher oder gar nicht wegräume. Weder umrahmt von Diskussionen noch Verhandlungen. Ich habe plötzlich das Gefühl, der Tag hat 120 Stunden.

Nostalgie

Wir bleiben vier Wochen, die Weiber und ich. Seit Ewigkeiten habe ich keine große Opernpartie mehr gesungen. Um ehrlich zu sein, ich habe einige Jahre überhaupt keine Partie gesungen. Ich dachte sogar, die Zeiten seien vorbei. Und dann kam das Angebot – los, schieb’ ran, Carmen wartet auf dich. Ja, genau, DIE Carmen von Bizet, die mit Kastagnetten und Wimpern, so lang wie Skier, Männer manipuliert. Ich war völlig überwältigt. Vom Angebot und noch mehr davon, was es mit mir machte – ich wollte, unbedingt. Unbedingt wieder singen. Mit der alten Crew, mit Menschen, die mir vertraut und wichtig sind (Wie es dazu kam, liest du in meiner Risky Week 27). Wie diese kleine Bergstadt in der Nähe von Chemnitz, deren Name auf einer Legende fußt: Annaberg. Schon als ich mein Gepäck in vier Portionen über den Marktplatz trug, mir die Vietnamesen an der Ecke schnell Nudeln brieten, war es ein bisschen wie früher, als ich hier gearbeitet, gelebt und einige und einiges geliebt hatte.

Welcome back

Als ich durch den Wald spaziere, in dem Wilma ihr halbes Leben Kaninchen selbiges schwer gemacht hatte, spürte ich etwas längst vergessenes, etwas, oder eher jemanden, dem ich lange keinen Raum gegeben hatte. Es ist diese kinderlose Tanja, die mit der kleinen Carmen im Kopf. Die, die gern allein ist, Chaos zelebriert, tut, was sie eben tut oder sein lässt. Den Tag um ihre Bedürfnisse drapiert, wie einen feinen, fluffigen Schal. Es ist die, die nie Kinder wollte, heimlich Hunde viel cooler findet und die (fast) wortlosen Streifzüge mit ihren Weibern genießt. Es ist auch die, die um Mitternacht solche Sachen schreibt, schief auf drei Kissen hängt und, begleitet vom  Schnarchen der Hunde, in die Tasten haut. Sonst ist da nichts. Niemand könnte aufwachen und nach Mama schreien.

What’s about Regretting Motherhood?

Ob ich selbst finde, ich sei eine Rabenmutter? Ich bin eine ehrliche Mutter. Diese Gefühle sind nicht erst heute erwacht. Sie waren auch gestern da, letztes Jahr, immer. Ich muss an Orna Donath denken, die Soziologin und Autorin des Buches Regretting Motherhood*. Für mich ist dieses Thema eine Art geistig-emotionale Qualzucht. Donaths „Studie“ ist mit 23 Teilnehmerinnen in etwa so repräsentativ wie dieser Artikel. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Mütter selbst am besten wissen, ob sie sich Mutterschaft zutrauen oder nicht. Das soll den Druck auf Frauen mindern. Mit dem Begriff „Regretting Motherhood“ will sie ein vermeintliches Tabuthema enttarnen, durchleuchten und aufbrechen.

Ich bereue nichts

Regretting, also bereuen, ist generell eine Frage des Temperaments. Ich persönlich neige nicht zum Bereuen. Ich fühle mich gerade wohl an diesem Ort hier, ohne mein Kind, den Mann und das Familienleben. Ich singe wieder. Habe meine Freunde wieder. Und das Theater, der einzig wahre Zauberwald in dem alles geht, nichts weh tut, obwohl das Blut spritzt und Köpfe rollen. Vor fünf Jahren habe ich all das aufgegeben. Auch, wenn ich spüre, wie sehr es noch zu mir gehört, bereue ich meine Kündigung nicht. Sie hat mir erst den Weg eröffnet, die Musik, das Theater, aus einer unbekannten Perspektive neu zu entdecken. Bereuen ist müßig. Es ist unfair mir selbst gegenüber, etwas Vergangenes durch die Brille der Retroperspektive zu beurteilen. Mehr zu meiner Arbeit als Musikerin findest du auf meiner Website und bei meinen Singvögelchen.

Reunion

Wenn ich jetzt durchs Erzgebirge streife, damit sich die vielen Noten, Worte und Regie-Anweisungen ordnen können, ist die kinderlose Tanja immer mit an Bord. Sie liegt im Gras, weint vor Freunde und kümmert sich weder ums Telefon noch das Abendessen für irgendwen. Ich möchte die Mutter, die Frau, die Musikerin, die Schreibende in mir nicht voneinander trennen. Ich möchte sie in einem riesigen Raum versammeln, ohne Mauern, ohne Dach. Sodass sie sich austauschen und befruchten können. Das habe ich in den letzen Jahren nicht geschafft. Danke, Annaberg, dass du mir das zweite Mal in meinem Leben liebevoll eine Lektion verpasst. Du bist fast so gut darin wie mein kleiner, geliebter Junge.

Wohnt oder lebt in dir auch so eine kinderlose Frau oder ein kinderloser Mann? Was denkst du über Regretting Motherhood? Erzähl‘ mal.

Eure Tanja

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