Spieglein an der Hand – Kinderhand an Baum

Leben mit Kindern – kein Spiegel war mir je so auf den (Achilles-) Fersen, wie der kleine Junge, der gerade in seinem Bettchen schläft. Und manchmal gibt es Momente, die tiefe Verletzungen, alte Wunden und versteckte Muster wie durch ein Brennglas scharf zeichnen, bewußt machen. So einen durfte ich heute Morgen erleben …

Geerbte Zeitnot

Es ist spät. Mal wieder sitze ich mit Merlin zehn Minuten zu lange im Bett – wir essen trockenen Kuchen und ich hätte Lust, den ganzen Tag nichts zu tun, als eben diesen Kuchen, der mich schwer an Dinkelbrot erinnert, zu essen und wahlweise einander damit zu bewerfen. Die dunkle Seite der Macht möchte dagegen den großen Artikel fertig schreiben, der noch auf der Liste lauert.  Die Dinge fallen nach unten und so entscheide ich mich für den Artikel, ziehe Merlin an und wir verjagen gemeinsam Zahnkobolde.

Fünf nach acht sitzt er endlich auf dem Stuhl, auf dem ihn der Schneeanzug erwartet. Ich gerate unvermeidlich in Stress – wenn wir nicht gleich loskommen, stehen wir vor verschlossenen KiTa-Türen. Zu allem Überfluss verschwindet der Frontlader in den Tiefen des Astronauten-Outfits und ich finde weder Kragen noch Handschuhe. Habe ich schon erwähnt, dass ich gelegentlich zum Fluchen neige? Das ist untertrieben und bedarf eines eigenen Artikels – kommt.

Ich zücke die neuen Fingerhandschuhe und ahne, dass die mir den Rest geben. Welcher ist hier der rechte, welcher der linke?! Diese wie alle weiteren Fragen überfordern mich derart, dass mich eine kleine Tobsucht heimsucht und ich quäke: „Ich kann das niiiiiicht! Dieses Angeplünne!“ (Für alle Nicht-Preußen: etwa „Angeziehe“) Merlin hält inne und ist sich nicht sicher, ob er einstimmen soll ins mütterliche Gejaule und entscheidet sich dafür, mir eine Alternative anzubieten: „Das kann Papa machen!“ flötet er aufmunternd. Gegen meine Gewohnheit antworte ich nicht und arbeite weiter an der schier unüberwindbaren Herausforderung.

Mama, du kannst das!

Ein  Satz durchbricht plötzlich die Stille und meine kleine morgendliche Verzweiflung – „Mama, du kannst das!“ zirpt mein Zweijähriger, und schaut mich mit seinen großen, weisen Augen an. Der Nebel in meinem Kopf lichtet sich schlagartig. Ich möchte weinen. Aus Scham, dass nicht ich meinen Jungen aufmuntere, sondern er mich. Und aus Bewunderung für diesen kleinen Menschen, der sich seiner Selbstwirksamkeit bewußt ist, in Varianten denken und fühlen kann. Kurz – der im Gegensatz zu mir gelernt hat, gut für sich zu sorgen. Und der mir vertraut!

Ich halte inne, sehe Merlin an und nehme ihn in den Arm. „Danke, Merlin, dass du Mama gerade geholfen hast, auch, wenn es nicht deine Aufgabe ist, denn:

Ja, Mama kann das. Und Mama ist für dich da!