
Langes Stillen – was heißt das eigentlich? 6 Monate, 1 Jahr, 2 Jahre oder 3? Welche Vor- und Nachteile hat Langzeitstillen und was mache ich, wenn der Stillstart nicht klappt? Die ausgebildete Geburtsbegleiterin und Zweifach-Mutter Kathrin Burri gibt in ihrem Buch Langes Stillen – Natürlich, gesund, bedürfnisorientiert Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Ob uns das Buch überzeugt, erfahrt ihr in unserer Rezension.
Lesezeit: 7 Minuten
Langes Stillen – was heißt das?
Die Autorin Kathrin Burri überlässt es jedem selbst, was er oder sie unter dem Begriff Langzeitstillen versteht. Für den einen beginne das Langzeitstillen bereits mit 6 Monaten, für den anderen ab 12 Monaten. Wieder andere definierten langes Stillen ab 2 Jahren, schreibt Burri.
Langes Stillen – das empfiehlt die WHO
Die Geburtshelferin Burri orientiert sich an der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die empfiehlt, Babys mindestens 6 Monate lang ausschließlich zu stillen. Verstanden werde häufig: spätestens nach 6 Monaten abstillen. Das sei jedoch nicht gemeint. Vielmehr empfehle die WHO, neben geeigneter Beikost mindestens bis zum 2. Geburtstag und länger nach Bedarf zu stillen. Muttermilch sei auch in dem Alter noch eine wichtige Quelle für viele Nährstoffe. Diese Empfehlung gelte nicht etwa für Frauen in Entwicklungsländern, sondern weltweit.
Wenn man sich nach der WHO richtet, könnte man also sagen, dass alles unter zwei Jahren Kurzzeitstillen ist und man fälschlicherweise von Langzeitstillen spricht. (Kathrin Burri in Langes Stillen)
Doch wer stillt schon über den 2. oder sogar 3. Geburtstag hinaus? Ich stille unseren 15 Monate alten Sohn noch und bin damit im Freundes- und Bekanntenkreis schon eher die Ausnahme. In unserer Krabbelgruppe stillen von 7 Müttern mit mir noch 3. Die anderen beiden nur noch zum Einschlafen und nachts, ich stille auch noch morgens und mittags. Mehr als die Hälfte der Mütter stille nach 6 Monaten ab, schreibt Kathrin Burri.
Warum Langes Stillen?
Kathrin Burri möchte mit ihrem Buch das längere Stillen enttabuisieren und Familien Mut machen, diesen Weg zu gehen und Empfehlungen zum Abstillen kritisch zu hinterfragen. Und sich Rat und Hilfe bei Stillberaterinnen zu holen, wenn es mit dem (Langzeit-)Stillen nicht klappt.
Langzeitstillen Studie
Wie machen es die anderen? Burri hat 2018 in einer groß angelegten Studie 7.000 Mütter und knapp 300 Väter aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nach ihren Stillgewohnheiten und -erfahrungen gefragt. Überrascht hat mich, dass einige Mütter berichten, ihre 8-jährigen Kinder noch zu stillen. Genau genommen waren es in der Umfrage 36 7- bis 8-Jährige. Auch 64 Kinder über 8 Jahren wurden noch gestillt. Das erscheint mir ein bisschen sehr lang.
Stillen bis zum Alter von 5 Jahren ist artgerecht
Der Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor des Bestsellers Kinder verstehen* Herbert Renz-Polster schreibt auf seiner Webseite, Kinder bis zum Alter von 2 bis 5 Jahren zu stillen sei der artgerechte evolutionäre Standard. Aus kinderärztlicher Sicht seien keine Nachteile anzunehmen, solange die Kinder wie empfohlen beigefüttert und ernährt werden.
Langzeitstillen Vorteile
Kathrin Burri erklärt, warum Langzeitstillen gut ist:
- Das Kind ist, wenn es gestillt wird, hervorragend mit Nährstoffen versorgt, und es wird ihm eine bessere Infektabwehr ermöglicht – auch nach einem Jahr.
- Gestillte Kinder leiden als Erwachsene seltener unter Allergien, Asthma, Fettleibigkeit sowie Diabetes I und II.
- Langzeitstillen schützt vor Colitis ulcerosa, Morbus Crohn (beides chronische Darmentzündungen) und Metabolischem Syndrom (verschiedene Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen) im Erwachsenenalter.
- Nicht gestillte Kinder haben ein doppelt so großes Risiko für den plötzlichen Kindstod.
- Gestillte Kinder brauchen weniger Sprachtherapien und Zahnkorrekturen.
- Länger als 15 Monate zu stillen verringert das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken.
- Stillen spart Geld.
- Die Mutter hat durch das Stillen ein geringeres Risiko für Brust-, Eierstock-, Gebärmutter- und Schilddrüsenkrebs, Diabetes, Metabolisches Syndrom, Alzheimer und Herzerkrankungen. Diese positiven Faktoren nehmen mit der Stilldauer zu.
- Das Brustkrebsrisiko sinkt laut einer Studie pro 12 Monate Stillen (die Stillzeiten aller Kinder zusammengerechnet) um etwa 4 Prozent.
- Nach einer weiteren Studie reduzieren 12 Monate Stillen das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs sogar um 26 beziehungsweise 37 Prozent.
- Mutter und Kind bilden beim Stillen das Hormon Oxytocin. Die Mutter ist damit stressresistenter, gelassener und kann besser mit ihrem Schlafmangel umgehen. Beim Baby bewirkt die Oxytocin-Ausschüttung, dass es zufrieden ist und oft beim Stillen einschläft.
Langes Stillen – im 2. Jahr enthält die Milch mehr Abwehrstoffe
Fasziniert hat mich, wie die Mutter das kranke Kind über die Muttermilch mit Abwehrstoffen versorgt: Über die Brust der Mutter gelangen winzige Mengen an Krankheitskeimen des Kindes in den mütterlichen Organismus, schreibt Burri. Die Mutter funktioniere wie ein großes immunologisches Organ und reichere die Muttermilch mit den erforderlichen Abwehrstoffen an. Im 2. Jahr des Stillens enthält die Muttermilch sogar mehr Antikörper als im 1. Jahr. Die Abwehrstoffe sind teilweise ähnlich konzentriert wie im Kolostrum unmittelbar nach der Geburt.
Langzeitstillen Nachteile
Einige Kritiker des langen Stillens führen an, gestillte Kinder wachten nachts häufiger auf als nicht gestillte Kinder. Deshalb bräuchten Kinder abends einen Brei, um richtig satt zu werden. Auch Flaschenmilch mache länger satt als Muttermilch.
Gestillte Kinder wachen nachts häufiger auf
Schon Remo H. Largo, Professor für Kinderheilkunde und Vater von drei Kindern, bestätigte in seinem Klassiker Babyjahre*, dass gestillte Kinder dazu neigen, nachts häufiger aufzuwachen. Ein nach Bedarf gestillter Säugling lerne, dass er auch nachts die Brust bekommt. Deshalb nehmen Kinder, die gestillt werden, häufig tagsüber weniger Nahrung zu sich als Kinder, die die Flasche bekommen. Nachts trinken sie dann öfter, um ihren Kalorienbedarf zu decken.
Langes Stillen – (auch) andere Faktoren beeinflussen den Schlaf des Kindes
Kathrin Burri sieht keinen Zusammenhang zwischen Stillen und häufigem Erwachen. Ob ein Kind durchschlafe, hänge nicht nur davon ab, ob es satt sei, sondern auch davon ob es träume, sich unwohl fühle, friere, schwitze oder Angst habe.
Unser Sohn schläft besser, seitdem er abends festes Essen isst
Ich habe unseren Sohn Milo 8 Monate lang voll gestillt und habe den Eindruck, dass er besser schläft, seitdem er abends festes Essen isst. Wir haben uns für Baby-Led-Weaning entschieden und ernähren Milo daher breifrei. Inzwischen ist er 15 Monate alt. Er isst abends das, was wir essen, meistens eine frisch gekochte Mahlzeit.
Schlechter Schlaf wenn Zähne durchstoßen
Auch Milo hat Phasen, in denen er schlechter schläft. Vor allem wenn wieder Zähne durchkommen, aber auch wenn er träumt oder sich eine Erkältung anbahnt. Aber Langzeitstillen heißt ja auch nicht ausschließlich zu stillen, sondern neben der Beikost weiter zu stillen.
Die ab und an genannten Nachteile, welche für die Mutter oder das Kind durch längeres Stillen entstehen können, beruhen meist auf Fehlinformationen, Ammenmärchen oder schlichtweg Unwissenheit. (Kathrin Burri)
Im 5. Kapitel geht Burri auf die Herausforderungen rund um das Lange Stillen ein: Was bedeutet Langzeitstillen für die Partnerschaft, insbesondere für die Sexualität? Was machen Mütter, die wieder arbeiten gehen? Kann ich, wenn ich wieder schwanger bin, trotzdem weiterstillen?
Langes Stillen – was die anderen erleben
Kathrin Burri lässt in ihrem Buch viele Mütter und einige Väter der Umfrage ausführlich zu Wort kommen. Sie erzählen von ihren Stillerfahrungen. Ich fand es schön, an diesen teilhaben zu können. Neben den Stillenden hat Burri viele Stillberaterinnen und Ärzt*innen zum Langzeitstillen befragt. Sie bilden ein gelungenes informatives Pendant zu den Erfahrungen der Stillenden. Am Ende des Buches geht Burri auf Stillgegner ein und widerlegt ein Vorurteil nach dem anderen.
Langes Stillen – unser Fazit
Langes Stillen bietet neben den Erfahrungen der Eltern viele interessante Infos rund ums Stillen. Mit dem Wissen könnt ihr Freunde und Familie beeindrucken mit Weißt du eigentlich, dass… . Zum Beispiel, dass Muttermilch aus dem Blut der Mutter gebildet wird und nicht aus dem Mageninhalt.
Langes Stillen – einige Passagen sind verzichtbar
Einige Passagen von Langes Stillen finde ich verzichtbar. Wie die Kinder die Muttermilch oder das Stillen bezeichnen fand ich nicht so interessant. Dafür hätte ich gern noch mehr Details über die Zusammensetzung von Muttermilch im 2. und 3. Lebensjahr des Kindes erfahren. Zum Beispiel wie viele Nährstoffe dann noch enthalten sind. Trotzdem finde ich das Buch sehr empfehlenswert!
TIPP Wenn du dich gern von Ratgebern inspirieren lässt, empfehle ich dir unsere Serie Elternratgeber im Check. Jeden ersten Sonntag im Monat stellen wir dir ein neues Buch rund um den Familienkosmos vor. Außerdem lege ich dir unsere Best-of-Ratgeber 2019 ans Herz.
Über die Autorin von „Langes Stillen“
Kathrin Burri ist zweifache Mutter und seit 5 Jahren ausgebildete Doula (Geburtsbegleiterin). Sie unterstützt werdende Eltern emotional und praktisch während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Kathrin Burri lebt mit ihrem Mann in der Schweiz.
Über das Buch
Titel: Langes Stillen*
Autorin: Kathrin Burri
Verlag: Kösel
Genre: Sachbuch
Erscheinungsdatum: April 2020
Seiten: 208
Preis: 18 Euro
ISBN: 978-3466311385
Format: Broschiert, E-Reader
Langes Stillen hat mich darin bestärkt, weiter zu stillen, so lange Milo mag und es sich für mich stimmig anfühlt. Welches Buch hatte nachhaltigen Einfluss auf deine Art, mit deinem Kind umzugehen?
Wir wünschen dir einen bunten Herbst, Muße und Mut, deinen eigenen Weg zu gehen.
Deine Anne & Team
Mein herzlicher Dank gilt dem Kösel-Verlag für jeweils ein kostenfreies Rezensions- und Verlosungsexemplar.
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Das Buch wäre ein schönes Geschenk für eine Freundin, die die Stillentscheidung in Kürze treffen muss!
Liebe Karin,
alles klar, du bist im Lostopf!
Liebe Grüße,
Anne