
Kinder singen für ihr Leben gern und ich dachte, ich könnte es ihnen beibringen. Nichts da. Stattdessen haben sie mir etwas beigebracht. Was das war und warum mich die Singkurse mit den Kleinen verändert haben, erzähle ich in einem sehr persönlichen Artikel.
Kinder singen & gefährliche Freundinnen
Meine Freundinnen scheinen auf den ersten Blick harmlos. Erst bei näherem Kennenlernen stellte sich heraus, dass es ihnen möglich ist, mein Leben, meine emotionale Statik mit einer kleinen, unschuldigen Frage aus der Bahn zu werfen.
Hast du nicht Lust, mit unseren Kindern zu musizieren? Schließlich bist du ja Sängerin!
Zunächst dachte, sagte ich:
Never. Was hab‘ ich denn mit singenden Kindern zu tun?
Leider kann ich es mir nicht aussuchen, wann eine Idee auf fruchtbaren Boden fällt. So konnte ich eine Nacht kaum schlafen. Ich malte mir aus, wie förderlich es sein würde, den Zauberer mit anderen Kindern im Singen zu unterrichten. Singen konnte ich ja. Lehren auch. Als Schülerin habe ich mit Nachhilfe ein kleines Vermögen verdient, als Sprachlehrerin bei Berlitz das Studium finanziert. Aber mit Vorschulkindern singen?
Wenn die Saat aufgeht
Weiteres Brennmaterial für diese Idee lieferte ein Gespräch mit der Vokalpädagogin Barbara Völkel. Sie wollte ich eigentlich nur bitten, die Kinderlieder CD pädagogisch zu begleiten, die ich seit einiger Zeit plane. Ich fand heraus, dass sie Fortbildungen fürs Singen mit Kindern gibt. Und ich fand heraus, dass ich herausfinden muss, ob das was für mich ist. Schließlich kommt nichts und niemand umsonst in mein Leben.
Kinder singen & Mama zittert
Also fahre ich mehrfach hunderte von Kilometern in den Norden, um mich mit Singspielen, Kreistänzen, Solmisation und Chordirigat anzufreunden. Ich ahne, dass dieser willkommenen intellektuellen Herausforderung irgendwann die Praxis folgen würde. Und von der verstand ich – wenig.
Singen mit Kindern? Sieht ganz danach aus …
Etwa zur gleichen Zeit hörte ich auf YouTube den Gesangbeitrag eines talentierten Mädchens. Es widerstrebt mir, wenn Kinder den Stimmklang von Erwachsenen imitieren, was sie meines Erachtens tat. Als junge Studentin unterrichtete ich aus einer privaten Notsituation heraus eine Weile Gesang, auch größere Kinder. Ich hatte einiges gelesen und eine Idee davon, was der Kinderstimme gut tut und was nicht. Die Mutter jenes hinreißenden YouTube-Sternchens, mit der ich befreundet bin, fragte mich, als hätte sie meine Gedanken gelesen, ob es richtig wäre, was sie da täten. Leider hinterließ auch diese Frage ein Echo. Ich fragte mich: Stimmt es eigentlich, was ich über das korrekte Singen mit Kindern wusste? Habe ich das Recht zu urteilen, obwohl ich (noch) keine Expertin war?
Alles auf einmal
Da ich die Königin der Synergien bin (reine Faulheit), suchte ich mir gleich einen Grund, dieser Frage intensiver nachgehen zu können. Ha! Wollte ich nicht noch wenigstens einmal im Leben wissenschaftlich arbeiten? Wäre das nicht das perfekte Thema für meine journalistische Abschlussarbeit? Kurz darauf begann ich, Abschlussarbeit und das praktische Singen mit Kindern zu planen. Weil ich etwas wahnsinnig bin, fand das natürlich parallel statt. Für jede Stunde erstellte ich ein Skript mit pädagogisch wertvollen Inhalten. Ich bemerkte schnell, dass solche Konzepte an ihre Grenzen stoßen.
Was ist, wenn die Kinder gerade überhaupt keine Kreistänze brauchen, sondern jemanden, der ihre kleinen Wunden und Kratzer zur Kenntnis nimmt?
Die erste Stunde verlief unerwartet harmonisch. Es war berückend, mit wie viel Begeisterung die Kinder von ihren Lieblingsinstrumenten erzählten oder mit mir zu Indianergeheul Löwen jagten. Für mich war so etwas unvorstellbar. Mit Kindern spielen, mich auf sie einzulassen. Es stimmte, was ich in dem Dutzend Bücher las, die ich für meine Abschlussarbeit zusammengetragen hatte:
Kinder wollen Singen, es entspricht zutiefst ihre Natur.
Und es entspricht ihrer Natur, schlafende Geister zu wecken. So begannen sie ab der dritten Stunde, mir meine (Versagens-) Ängste zu spiegeln, ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen, die oft so gar nichts mit meinen Plänen und Ideen zu tun hatten. Tja. Da tat ich manchmal das, was eine bedürfnisorientiert kommunizierende Mutter nicht tut: Schreien, Maßregeln, Sanktionieren. Und zwar vorwiegend mein eigenes Kind. Puh. Aus ein bisschen Singen mit Kindern wurde eine 1-A-Lehrstunde über die Grenzen meiner Fähigkeit, einfühlsam auf kindliche, neun kindliche Bedürfnisse einzugehen.

Manchmal werden die Orff-Instrumente auch mal zur Rakete
Party Crasher
Während der eine den anderen beißt, heult der Dritte los, weil der Vierte ihm nichts zu trinken abgeben will. Der Fünfte, mein Sohn, beschließt, dass er für heute genug gesungen habe und verlässt den Raum. Nummer Sechs hat daraufhin auch keine Lust mehr und setzt ebenfalls zur Flucht an. Die marodierende Gruppe löst sich binnen Sekunden auf – und ich habe überhaupt keine Kontrolle darüber.
Kinder singen – nicht für den Zauberer
Ich hatte nicht bedacht, dass es für den Zauberer eine enorme Herausforderung sein würde, mich mit anderen Kindern noch dazu in seinem Zuhause zu teilen. Mir wurde schnell klar, dass wir eine Lösung finden müssten. Nach dem neunstündigen Probekurs meldete ich den Zauberer einfach im Nachbardorf an. Musikalische Früherziehung unterscheidet sich zwar von meinem montessori-orientierten Konzept, aber das macht nichts. Bei uns zuhause wird genau gesungen.
Kinder singen als Geschenk
Vor ein paar Tagen hatten wir unsere letzte Stunde. An diesem Tag gelang es uns, für eine Minute gemeinsam in die Stille zu gehen. Die virtuelle Klangschale bot den Rahmen der kleinen Auszeit, in der die Kinder auf die Geräusche der Umgebung lauschten. Es war hinreißend. Sie haben Wind, Blätterrascheln, Fahrzeugbrummen gehört.
Kinder, die in die Stille gehen, bei sich und im Moment sein können, tragen damit das Prinzip von Musik in sich.
Und nun habe ich Zeit, mich inhaltlich, pädagogisch und logistisch aufs Kinder singen vorzubereiten. Dazu gehören Sitzungen mit meinem Coach ebenso wie eine Schulung zur Liedergarten-Lehrerin und ein montessori-geprägtes Seminar zum Gebrauch von Orff-Instrumenten. Denn: Es geht weiter mit den Singvögelchen, wie ich die Truppe getauft habe. Ich war gerührt und überrascht, als mir die Eltern ein Geschenk überreichten. Denn das eigentliche Geschenk hatten mir ja schon die Kinder gemacht:
Ich durfte erfahren, dass Kinder meine Pläne nicht brauchen. Sie wollen, dass ich ihre Ideen aufgreife und daraus mit ihnen Abenteuer stricke. Sie wollen, dass ich etwas mit ihnen fühle und nicht, dass ich etwas für sie denke.
Meine wissenschaftliche Abschlussarbeit habe ich letzte Woche benotet zurückerhalten. Ich hatte die Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien auf die Entwicklung der Kindersingstimme im Vorschulalter untersucht. Damit ist mein Journalismus-Studium beendet, Bestnote. Theoretisch bin ich nun Expertin.
Praktisch wird es dauern, bis ich mich vollkommen von der Idee gelöst habe, ich könnte irgendwem irgendetwas beibringen.
Singt und musiziert ihr zuhause mit den Kids? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Fällt euch Erwachsenen das Singen mit Kindern leicht oder zählt ihr du zu denjenigen, denen früher gesagt wurde, sie hätten eine furchtbare Stimme oder seien unmusikalisch? Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig: Alles Bullshit. Jeder Mensch kann von Natur aus singen. Einige haben es nur vergessen. Wenn du Unterstützung brauchst, schreibe mir gern oder folge meinem Blog – dort gibt es ab September viele neue Artikel und Videos zum Thema Kinder singen.
Ich wünsche dir und euch viel Freude beim Musizieren. Und schaltet den Kopf dabei aus, wenn ihr könnt. 😉
Alles Liebe,
Eure Tanja

Kinder singen – wir lernen die Instrumente genau so kennen wie unsere Stimmen
Mein herzlicher Dank gilt meinen Freundinnen für ihre Impulse und der Firma Rohema Percussion , die mir die Orff-Instrumente für die Singvögelchen kostenfrei zur Verfügung gestellt hat. Mehr über Rohema erfährst du im Porträt der einzigen Taktstockmanufaktur Deutschlands.
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