Kinder und Medien – Merlin und Maik

Kinder und Medien. Um Licht ins Eltern-Kind-Medien-Dunkel zu bringen, traf ich den Sozialpädagogen, Jugendtreff-Leiter und Referenten Maik Rauschke auf der re:publica 2017 . Warum für Kinder kein Unterscheid zwischen Online und Offline besteht und wie wir es schaffen, mit unseren Kids medial Schritt zu halten und weshalb das nötig ist, erfahrt ihr im Interview.

Kinder und Medien – neulich mit Maik Rauschke

Maik Rauschke – Mitte 40, Sozialpädagoge, Medienmann. Er leitet einen Jugendtreff in Wolfsburg, hält Vorträge und wandert, wann immer der Laden geschlossen ist. Maik ist „Vater“ eines betagten Windhundes und zweifacher Patenonkel. Sein Umgang mit Kindern macht Eltern manchmal ratlos – woher nimmt der Mann bloß seinen Enthusiasmus und die Geduld? Sein Geheimnis: Die Kinder anderer begleiten, Neugier und der feste Glaube an Bildung. Der Eins-Neunzig-Mann, auf dessen Bart selbst der Weihnachtsmann neidisch werden könnte, ist kein Kuscheltier. Wer zu Wort kommen will, muss mindestens so fix denken wie er. Und nicht zimperlich sein.

TANJA Maik, wir treffen dich heute auf der Medienmesse re:publica in Berlin. Warum?

MAIK Für mich ist die re:publica ein nerdiges Klassentreffen, da muss ich einfach hin. (lacht). Es geht darum, neue Dinge mitzunehmen. (guckt sich um) Ne Menge Kinder hier!

TANJA Stimmt. Findest du, dass die re:publica kinderfreundlich ist, so, wie sie derzeit gestaltet wird?

MAIK Es ist die Frage, ob die richtigen Leute an den richtigen Stellen entscheiden, was hier für Kinder gemacht wird. Ich glaube, da kann man viel mehr rausholen. Hier ist ein Anfang gemacht, hier sind ein paar Leute zuständig für die Kinderbetreuung.

TANJA Fallen dir konkrete Beispiele ein, wie die re:publica für Eltern und Kinder attraktiver werden könnte?

MAIK Naja, der „Affenfelsen“ zum Beispiel hat Steckdosen, die nicht kindergesichert sind. Im Kinderbereich wurden die zwar abgeklebt, aber das hätte man auch besser lösen können. Dann fehlt mir von einigen Besucherinnen und Besuchern weiterhin der Respekt vor diesem Bereich.

TANJA Woran machst du das fest?

MAIK Sie führen Gespräche, latschen mit Schuhen durch den Bereich und nutzen die Steckdosen. Und ich wünsche mir eine eindeutigere Abgrenzung und Beschriftung des Bereichs. Es fehlen weiterhin Spielzeug, Bastelmaterial, Spiele – von mir aus auch gerne mit technischem Bezug!

TANJA Hältst du Kinderbetreuung auf der re:publica für wichtig?

MAIK Eine professionelle Kinderbetreuung wäre vielleicht ganz schön – aber bitte nicht im IKEA Style, sondern mit Ausrichtung auf die Themen der re:publica. Das dürfte den Eltern und Organisatoren auch etwas wert sein, oder? Vielleicht wäre ein eigener Bereich auch zu überlegen – weg vom Trubel hier in der Mitte der Halle.

TANJA Wo wäre so ein Bereich gut untergebracht?

MAIK Vielleicht hinten in der Chill-Area oder so. Da muss man sich schon Gedanken machen: Es werden immer mehr Kids in den nächsten Jahren hier her kommen – re:publica-Nachwuchs, eben.

TANJA Was würdest du diesem Nachwuchs raten, wenn er den Beruf des Medienpädagogen ergreifen möchte?

Bei aller Technikgeilheit vergesst nicht, dass es um Menschen geht.

MAIK Bei aller Technikgeilheit vergesst nicht, dass es um Menschen geht. Und dass Pädagogik ein unglaublich wichtiger Faktor ist. Lasst ab und zu auch mal die Technik Technik sein nach dem Motto: Ich mache das einfach, weil’s Spaß macht.

TANJA Du selbst bist kein Medienpädagoge, sondern studierter Sozialpädagoge – was unterscheidet einen Sozialpädagogen von einem Medienpädagogen?

MAIK Ich habe eine Ausbildung, in der Medien nur einen kleinen Teil ausmachten. Bei mir geht es darum, Menschen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Der Medienpädagoge hat erst einmal Medien als Schwerpunkt. Ich habe mir die Technik selbst beigebracht, viel ausprobiert, Freunde, Kollegen und in Arbeitskreisen gefragt. Ich bin auch regelmäßig gescheitert – Frustration kann auch ein Antrieb sein!

TANJA Du arbeitest mit Jugendlichen in einem Jugendtreff. Woran erkennst du, dass in der Medienerziehung einiges falsch läuft? Läuft überhaupt etwas falsch?

MAIK (nachdenklich) Oh ja, es läuft vieles falsch. Ich glaube, wir vertrauen den Kids viel zu wenig. Sie können ganz viel – nur sehen wir das nicht immer. Wir legen viel Wert darauf, Kindern soziale Kompetenzen mitzugeben. Wir belehren sie, lassen sie erfahren, was gut, was schlecht für sie ist. Bei Medien sagen wir auf einmal, nein, das ist schlecht für dich. Wir nehmen ihnen unglaublich viel Spielraum, selbst Erfahrungen zu sammeln, um zu gucken, was sie wollen und was nicht.

TANJA Example, please!

MAIK Viele Eltern nutzen Tablet, Smartphone, Playstation, Fernseher und Spielekonsole als Babysitterersatz für kleinere Kinder. Sobald die Kids mit zehn oder zwölf Jahren auf einmal aus eigener Motivation heraus Geräte haben wollen, sind die dann plötzlich „böse“.

Wir lesen und hören viele Nachrichten über wenige Negativ- Beispiele – und wenige Nachrichten über viele gute Beispiele.

TANJA Warum denn das?

MAIK Wir sagen als Gesellschaft: Du darfst das nicht, weil wir Angst davor haben. Weil wir es nicht kennen. Wir lesen und hören viele Nachrichten über wenige Negativ- Beispiele – und wenige Nachrichten über viele gute Beispiele. Gerade Mobbing und Sucht werden gern in den Vordergrund gestellt. Es gibt sogar Versicherungen gegen Cyber-Mobbing! Ich halte auch eine eher ängstliche, zurückhaltende Bildungspolitik für eine Ursache, gerade was die aktuellen Themen der Digitalen Gesellschaft und Arbeit 4.0 betrifft. Viele Eltern und Pädagogen verstehen überhaupt nicht, dass sie mit ihrer Medienablehnung mehr verhindern als zu viel Smartphone-Nutzung ihrer Kids. Nämlich das Lernen des adäquaten und verantwortungsvollen Umgangs damit!

TANJA Und jetzt? Was tust du dagegen?

Wer sind wir, dass wir Kids vorschreiben, was sie zu denken haben? 

MAIK Ich sage das Eltern, Lehrern und Pädagoginnen immer wieder in meinen Vorträgen: „Hej, Leute, vertraut den Kindern ein bisschen mehr! Guckt selbst erst einmal, was es da gibt und lasst euch erklären, wie das alles so geht.“ Wer sind wir, dass wir Kids vorschreiben, was sie zu denken haben? Es geht um Kommunikation, miteinander die gegenseitigen Bedürfnisse, Ängste und Sorgen zu klären. Dann können wir schauen, wo’s hingehen soll. Wir wollen Kinder zu eigenständig denkenden Menschen machen – aber im Bereich Medien schreiben wir ihnen zu viel vor.

Es geht nicht um unsere Zukunft, sondern um die unserer Kinder.

TANJA Was bedeutet das nun für die Erwachsenen als Konsequenz?

MAIK Eltern und Pädagogen müssen sich mehr mit aktuellen Themen und Technik aus den Lebensrealitäten der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen. Es geht nicht um unsere Zukunft, sondern um die unserer Kinder. Zudem geht es um den Erwerb sozialer Kompetenzen. Sie sind die Grundlage aller Medienkompetenzvermittlung: Was ist gut für mich, was schlecht? Was bedeutet Freundschaft für mich? Was will ich, was nicht? Diese Themen sind offline genauso wichtig wie online. Für Kids gibt es sowieso keine Grenze zwischen Online und Offline. Sie nutzen das, was ihnen gerade hilft, ihr persönliches Ziel zu erreichen.

TANJA Ich habe dich so verstanden – das reale Leben soll Vorbild sein für jegliche Art von Virtual Reality.

MAIK Genau. Sozialkompetenz vor Medienkompetenz. Einem 14-Jährigen, der zehn Jahre Medienkonsum hatte, der niemals reglementiert und dem nie gesagt wurde, was gut, was schlecht und was zu viel ist – dem fehlt ein Wertesystem. Ein innerer Kompass, wie man mit Menschen und Medien verantwortungsvoll umgeht. Und der muss früh gestaltet werden!

Es macht also Sinn, sich schon vor der Geburt des Kindes mit dem eigenen Medienverhalten auseinanderzusetzen.

TANJA Was glaubst du, ab welchem Alter macht es für Eltern Sinn, sich mit ihren Kindern über Medien auseinander zu setzen?

MAIK Also, erst mal geht es um das Medienverhalten der Eltern, der Erwachsenen, der Gesellschaft. Es geht um das eigene Verständnis davon, was ich mit Medien machen will, was ich von ihnen krieg’ und was sie mit mir machen. Welche Ängste hab’ ich, welche Sorgen und welche Bedürfnisse werden erfüllt? Es macht also Sinn, sich schon vor der Geburt des Kindes mit dem eigenen Medienverhalten auseinanderzusetzen.

TANJA Wie geht es weiter, wenn wir uns klar sind über unsere eigene Haltung gegenüber Medien?

MAIK Wir wissen zum Beispiel, dass unter Dreijährige nicht fernsehen sollten, da das eine Reizüberflutung darstellt. Ich muss mir als Elternteil eines Zweijährigen Kindes darüber Gedanken machen, wie ich das löse.

TANJA Und wie könnte die Lösung aussehen?

MAIK Ein Freund von mir schaltet den Fernseher kategorisch aus, wenn das Kind den Raum betritt. Wenn seine Freunde ferngucken wollen, dann heißt es auch für die: Is’ nicht. Es geht weiter, wenn ein Dreijähriger das erste Mal vor dem Fernseher steht oder ein Kind sieht, wenn ich auf meinem Smartphone hin- und herwische. Wir Erwachsenen sind Vorbild.

TANJA Nehmen wir an, die Eltern haben das mit der Vorbildfunktion nicht so ernst genommen. Was können sie tun, wenn die ersten Probleme entstehen?

MAIK Zuerst geht es um konkrete Regeln und Absprachen für die alltägliche Mediennutzung in Familien. Im Zweifel kann das bedeuten, dass der Familienfernseher auch mal ausbleibt, wenn ein Familienmitglied das eigene Medienbudget schon ausgeschöpft hat. Gleiche Regeln für alle.

Eltern müssen versuchen, die Welten der Kids zu verstehen.

TANJA Und wie können wir diese Regeln aufstellen?

MAIK Fragt euch zuerst: Wie wollen wir als Familie mit Medienkonsum umgehen? Wer hat welche Bedürfnisse wie Wissen, Spielen, News und Entspannung? Wer hat welche Sorgen und Ängste vor zum Beispiel schlechten Schulnoten, in der Gruppe nicht mitreden zu können, Sucht und fehlenden Zukunftsperspektiven? Dazu gehört auch die Bereitschaft der Kids, den Eltern ihre Welt zu erklären – und die Eltern müssen versuchen, die Welten der Kids zu verstehen. Regeln gelten für alle und können auch von allen in Frage gestellt und im Zweifel angepasst werden.

TANJA Und was können Eltern tun, wenn sie schon einen mediensüchtigen Teenager zuhause haben? Wo bekommen sie Unterstützung?

MAIK Wenn es sich wirklich um suchtähnliches Verhalten handelt, sollten sich Familien Hilfe holen. In den meisten Gemeinden oder Städten gibt es Suchtberatungseinrichtungen, die sich auch mit den Thema Medien beschäftigen. Zudem gibt es diverse Online-Quellen, Blogs, Broschüren der BZGA und Ratgeber, die sich mit den Themen Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen. Jugendtreffs können auch Anlaufstellen sein. Meine Kolleginnen, Kollegen und ich werden immer wieder von Eltern nach Rat gefragt.

TANJA Wenn du Eltern drei Dinge mit auf den Weg geben könntest, wie sie Kinder optimal auf Mediennutzung vorbereiten – was würdest du ihnen raten?

MAIK Also optimal vorbereiten, das ist schwierig.

Eltern müssen verstehen, was Medien für die berufliche Zukunft ihrer Kinder bedeuten.

TANJA Ok. Sagen wir, so gut wie möglich.

MAIK Wir sind nun mal Menschen, wir sind unterschiedlich, haben verschiedene Herangehensweisen. Also, drei Dinge …

Erstens: Eltern müssen, verdammt noch mal, zum Thema Medien eine Haltung entwickeln! Sie müssen sie nicht mega gut finden – sie müssen sich aber auskennen und verstehen, was Medien für die berufliche Zukunft ihrer Kinder bedeuten. Sie müssen die eigenen Ängste und Nöte und auch ihre Bedürfnisse in Bezug auf Medien reflektieren. Es geht aber auch um die Interessen der Kinder. Wir gehen davon aus, dass Kinder möglichst selbstbestimmt aufwachsen sollen, wir wollen sie partizipieren, zu mündigen Bürgern werden lassen.

Das zweite: Verdammte Axt – redet mit euren Kindern! Es gibt Studien, die besagen, dass Kinder Angst haben, mit ihren Eltern über Medien und Mediennutzung zu reden. Ich erlebe das in Schulklassen sehr oft. Die Schüler nennen alle möglichen Leute, mit denen man über Probleme im Netz sprechen kann – die Eltern kommen als letztes. Das liegt auch daran, dass Kinder ihren Eltern oft im Medienbereich keine Kompetenzen zuschreiben. Da wären wir dann wieder bei Punkt eins, der Haltung.

Der dritte Punkt: Vertraut euren Kindern! Nehmt den Stock aus dem Arsch! Ihr müsst nicht permanent die Angstkeule rausholen. Natürlich. Es gibt eine ganze Menge Scheiße im Netz, vieles ist gefährlich. Aber: In den meisten Fällen kommen Kinder da gar nicht erst hin. Und wenn sie hinkommen, greifen Punkt eins und Punkt zwei und man kann mit ihnen darüber reden. Ich kann einem 10jährigen erklären, warum er auf einer Pornoseite komische sexuelle Handlungen sieht, die ihn verwirren – ja, das ist Sex, aber nicht so, wie Mama und Papa das machen würden, das ist nicht echt, nur gefilmt und nicht das, was wir als Liebe empfinden. Das muss ich Kindern sagen können. Deswegen auch „Stock im Arsch“. (grinst) Eltern haben so oft Ängste, die sie ihren Kindern gegenüber nicht artikulieren können.

TANJA Es ist aber nicht immer leicht, wissenstechnisch vor den Kids die Hosen runterzulassen. Ich habe durch ein anderes Interview mit dir gelernt, dass das Spiel Minecraft und nicht Mindcraft heißt. Ich merke, dass ich mit über 40 so ganz langsam der Sache entwachse – obwohl ich eher noch zu denjenigen gehöre, die versuchen mitzukommen. Was würdest du späten Eltern wie mir oder Medienmuffeln raten, um fit zu werden für die Medienbegleitung ihrer Kinder?

MAIK Einfache Antwort: fragt eure Kinder! Ich habe im Jugendtreff eine Kollegin eingeladen, sich Minecraft an den Rechnern von den Kindern erklären zu lassen. Und: Es gibt kein zu alt. Niemals! Es gibt nur die Frage: Bin ich bereit dazu, den Aufwand auf mich zu nehmen, zu lernen? Diesen Grundgedanken des lebenslangen Lernens habe ich für mich aus Japan mitgebracht – wir sind nicht fertig, nur weil wir aus der Schule oder dem Studium kommen. Ich muss nur verstehen, dass ich ein Defizit habe. Und wenn ich niemanden kenne, der es mir erklären kann, suche ich bei google oder Youtube ein Video, das es mir erklärt. Es gibt dort unendlich viele Blogs, Info-Videos und Tutorials, um bestimmte Probleme zu lösen. (Dealt kurz mit Merlin um ein Auto und verspricht einen neuen Lutscher, bietet ihm als Alternative zum Lutscher eine Zwiebel an)

TANJA Ich danke dir, dass du einen Vortragsstop fürs Interview eingelegt hast – was ist denn dein Schwerpunkt hier auf der re:publica? Was ist dir an dieser re:publica besonders wichtig?

MAIK Fakenews sind in der Medienpädagogik gerade ein wichtiges Thema. Mein persönlicher Schwerpunkt war dieses Mal „über den Tellerrand gucken“, mal zu schauen, was da ist. Und die Stimmung mitnehmen.

TANJA Zum Schluss: Verrätst du uns, wofür dein Rausch(K)e-Bart steht?

MAIK (schmunzelt) Ich trage Bart seitdem ich 20 war – allerdings noch nie so lang wie aktuell. Es war einfach mal Zeit, zu schauen, wie lang der Bart werden kann und wie das aussieht. Hashtag No Hipster. (Kreuzt die Finger zu einer stilisierten # Raute und streicht sich durch den Bart mit Blick aufs iPhone-Display) Hm, ich muss echt mal wieder zum Barbier…

TANJA Dann bin ich mal gespannt, wie viel barttechnisch noch geht und danke dir – vor allem auch im Namen aller Netzmuffel und vieler Eltern.

MAIK Jou. Gern!

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