
Hacke – der Autor und SZ-Kolumnist hat einen Bestseller über Anstand geschrieben. Warum ausgerechnet Donald Trump ihn dazu inspiriert hat und weshalb er sich nicht als „Anstands-Wauwau“ versteht, verrät er im Interview. Und ob sich meine Vorurteile im persönlichen Gespräch bestätigt haben, verrate ich euch zum Schluss.
Wer ist Axel Hacke ?
Axel Hacke wuchs in Braunschweig auf, studierte Politikwissenschaften und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Er war Redakteur der Süddeutschen Zeitung, für die er bis heute eine Kolumne schreibt. Axel Hacke lebt in München, schreibt Bücher und sagt von sich selbst, dass er „von allein nichts tut.“ Neben seinem Wohnort in München hat er mit seiner Familie im Allgäu einen Zweitwohnsitz und geniesst die Alpen lieber aus der Ferne, die er „als Kulisse ganz schön“ findet.
Neulich mit Axel Hacke …
TANJA Herr Hacke, wann wurden Sie das letzte Mal „unanständig“ behandelt?
AXEL HACKE Es passiert einem ja ständig, gerade in meinem Beruf. Ich werde in Emails bisweilen in einem Ton angegangen, den ich total unangemessen finde. Der Straßenverkehr ist auch ein gutes Beispiel.
TANJA Inwiefern?
AXEL HACKE Wenn man mit dem Fahrrad an eine rote Ampel fährt, gibt es einen Strich, vor dem man stehen bleibt. Ich fände es richtig, wenn die Leute sich hinter einen stellen und warten würden, bis es grün wird. Aber alle Fahrradfahrer stellen sich vor einen. Das finde ich eigentlich auch unanständig.
TANJA Sind wir zu egoistisch?
AXEL HACKE Es ist dieser Gedanke: „ich zuerst“, der in den Köpfen vieler Fahrradfahrer festsitzt. Und es gibt in jedem Kopf dieses moralische „Soll und Haben“: Weil ich Radfahrer bin, sowieso schon Rücksicht auf die Umwelt nehme, kann ich mir erlauben, an anderen vorbeizufahren. Bei vielen Radfahrern herrscht ja blanke Anarchie.
TANJA Anarchie …
AXEL HACKE Beim Radfahren ist nicht alles gesetzlich geregelt wie beim Autofahren. Beim Radfahren gilt vielmehr das, worüber wir gerade sprechen: Anstand wahren. Wir sind auf gegenseitige Rücksicht angewiesen.
TANJA Die Radfahrer waren jetzt aber nicht der Grund, ein Buch über Anstand zu schreiben.
AXEL HACKE Natürlich nicht, das war ja jetzt nur so dahin geplaudert. Ich denke seit vielen Jahren darüber nach, ein Buch über das richtige Leben zu schreiben: Wie lebe ich heute richtig? Klimabedrohung, Umweltschutz, Tierschutz, Essen …. viele Menschen versuchen, das Richtige zu tun. Und dann kam Donald Trump. Dann ging es los.
TANJA Was ging da genau los?
AXEL HACKE Jemand nennt seine Gegnerin im Wahlkampf kontinuierlich eine „Betrügerin“. Wenn man das Tag für Tag wieder tut, setzt ein Gewöhnungsprozess ein: „Irgendwas wird schon dran sein.“ Das hat mich so angewidert, dass es immer weiter in mir rumort hat.
TANJA Und wie kam es dann zum Buch?
AXEL HACKE Ich selber hätte das Buch vielleicht nicht gemacht, aber die Verlegerin beharrte darauf. Ich brauche immer jemanden, der mich so ein bisschen tritt.
Alleine mache ich nichts.
TANJA Tatsächlich?
AXEL HACKE Ja. Alleine mache ich nichts. Deswegen schreibe ich ja eine Kolumne – das muss man jede Woche machen.
TANJA Sie sind ein Freund von Strukturen?
AXEL HACKE Ja, ich lebe gern in geordneten Verhältnissen.
TANJA Wünschen Sie sich das auch von ihrer Umwelt?
AXEL HACKE Ich erwarte das nicht von jedem, jeder lebt anders. Genau darum geht es – zu respektieren, was andere gern haben.
TANJA Hat das Schreiben über Anstand auch ihren eigenen Respekt anderen gegenüber befördert?
AXEL HACKE Ja. Der Gedanke, grundsätzlich freundlicher anderen gegenüber zu sein, taucht häufiger bei mir auf. Ich bin nicht unbedingt der Mensch, der immer freundlich ist und freundlich auf andere zugeht.
TANJA Sie sind also nicht immer so freundlich, wie Sie es gern wären?
AXEL HACKE Nein, mit Sicherheit nicht.
TANJA Aber die Leute im Alpenvorland, im Chiemgau, wo sie auch wohnen, die sind doch sehr freundlich. Dort ist es jedenfalls üblich, einander beim Wandern zu grüßen. Egal, ob man sich kennt oder nicht. In München ist das anders …
AXEL HACKE Das ist ein Phänomen der Großstadt. Ich habe eine Wohnung in einem Bauernhof. Als der Bauerssohn das erste Mal mit seinen Eltern nach München fuhr, sagte er zu jedem „Grüß’ Gott“ am Bahnhof. Er hat schnell gemerkt, dass das so nicht funktioniert.
TANJA Das ist doch nett.
AXEL HACKE Das ist total nett. In der Großstadt geht das nicht – aber der Ansatz ist richtig.
TANJA Bedeutet das: anständig Leben ist nur auf dem Land möglich?
AXEL HACKE Das Landleben wird idealisiert. Ich habe meinen zweiten Wohnsitz seit 25 Jahren auf dem Land. Da weiß ich, dass das Landleben nur von außen schön aussieht. Von innen ist es manchmal furchtbar.
Auf dem Land müssen Sie erst mal jemanden finden, der Ihnen zuhört.
TANJA Furchtbar?
AXEL HACKE Sie glauben nicht, wie viele Selbstmorde oder Selbstmordversuche ich da draußen teilweise aus nächster Nähe miterlebt habe. Dort wird über die Dinge, wenn es wirklich schwierig wird, einfach weniger geredet. In der Stadt lernen wir, viel mehr über uns selbst zu reden, uns auszutauschen, vor allem: uns Hilfe zu suchen. Auf dem Land wird oft, wenn es ernst wird, einfach viel mehr geschwiegen.
TANJA Was steht hinter diesen Selbstmorden?
AXEL HACKE Immer Depressionen. Die Leute wussten nicht mehr weiter.
Dann lieber nicht lieben, sag’ ich mal.
TANJA Sie machen sich viele Gedanken um Menschen. Lieben Sie Menschen, Herr Hacke?
AXEL HACKE So im Allgemeinen? Das wäre lächerlich. Ich finde Menschen fast immer interessant, aber ich liebe meine Frau und meiner Kinder! Lieben Sie Menschen? Ich bin doch nicht wahnsinnig! Der Stasi-Chef Mielke hat mal gesagt: „Ich liebe euch doch alle!“ Dann lieber nicht lieben, sag’ ich mal.
TANJA Ja, ich für meinen Teil liebe Menschen, zumindest aus philosophischer Perspektive. Sie sagen, Sie lieben ihre Familie. In Ihrem Buch „Der kleine Erziehungsberater“, das sich wie der analoge Vorläufer eines Papa-Blogs liest, erzählen Sie viele Details aus Ihrem Familienleben. Was müssen, was können Eltern tun, um anständige Kinder großzuziehen?
AXEL HACKE Es geht um das Vorbild. Und darum geht es auch im Buch: man sollte von Kindern und auch anderen nicht verlangen, was man selber nicht tut. Erst bei sich selbst schauen, was falsch, was richtig läuft.
TANJA Wie lief das bei Ihnen zuhause? Haben Sie ein Beispiel?
AXEL HACKE Grüßen ist ein gutes Beispiel.
TANJA Das Grüßen scheint Ihnen besonders wichtig zu sein. Was bedeutet es für Sie?
AXEL HACKE Grüßen heißt ja, den anderen erst einmal wahrzunehmen und ihm so Respekt zu zeigen. Wenn ich jemanden nicht grüße, ist damit eine Geringschätzung verbunden. Das heißt: Du bist egal. Ich habe meinen Kindern immer erklärt: Wenn du irgendwo hineingehst, sagst du „Grüß’ Gott“.
TANJA Als gebürtiger Braunschweiger nicht lieber „Hallo“?
AXEL HACKE Ich finde „Grüß’ Gott“ besser – nicht, weil es „Gott“ ist, sondern weil „Hallo“ irgendwie zu lässig ist. Das hat aber mit meiner Generation zu tun.
TANJA Sie finden das, was im Internet geschieht auch zu lässig und wenig anständig.
AXEL HACKE Leute stellen sich dort anonym und oft in einem Ton dar, der vollkommen unangemessen ist, aber Schule macht.
TANJA Sie haben sicher ein Beispiel …
AXEL HACKE Nehmen wir die Grünen-Politikerin Künast. Sie wird täglich von Anfeindungen überschwemmt. Jetzt fand es die Staatsanwaltschaft nicht verfolgenswert, dass jemand ihr schrieb: „Man sollte dich köpfen!“. Es ist also möglich, so etwas öffentlich zu sagen. Soweit sind wir schon gekommen An so vieles haben wir uns gewöhnt.
TANJA Wäre es nicht auch anständig, nachsichtig zu sein mit den Menschen und ihnen Zeit zu lassen, sich an die neuen Medien zu gewöhnen, um einen adäquaten, einen anständigen Umgang damit zu finden?
AXEL HACKE Nachsicht ist immer gut. Wir haben ja nicht beschlossen, das Internet und später Facebook einzuführen. Es ist eine anhaltende Umwälzung und da flutscht nicht immer alles. Umso mehr müssen wir darüber diskutieren.
TANJA In ihrem Buch schreiben Sie über die unanständige analoge und virtuelle Welt. In welcher Rolle sehen sie sich – sind sie der moderne Knigge, der die Menschen besser machen will?
AXEL HACKE Der Knigge hatte ein bürgerliches Ideal vom Menschen, wie er sein soll, und das hat er in seinem Buch formuliert. Erst nach seinem Tod hat man das alles umgearbeitet und daraus eine Benimm-Anweisung gemacht. Ich habe mit meinem Buch den Diskurs von damals wieder aufgegriffen. Ich finde, um den geht es auch heute wieder.
Ich habe es nicht geschrieben, um zu einem Anstands-Wauwau zu werden.
RiskyMum Machen Sie, Herr Hacke, die Menschen mit ihrem Buch anständiger?
AXEL HACKE Ich habe es nicht geschrieben, um zu einem Anstands-Wauwau zu werden. Ich möchte das Problembewusstsein wecken und verstehen, was eigentlich los ist. Ich sehe mich nicht in der Rolle dessen, der den Leuten sagt: So müsst ihr das machen. Das kann jeder für sich selbst herausfinden.
Best of Axel Hacke
- Der weiße Neger Wumbaba*
- Die Tage, die ich mit Gott verbrachte*
- Der kleine Erziehungsberater*
- Das Beste aus meinem Liebesleben*
- Nächte mit Bosch*
- Das kolumnistische Manifest*
Axel Hacke liest derzeit aus seinem aktuellen Bestseller Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen* – die aktuellen Termine seiner Lesereise findest du hier.
Risky Vorurteil …
Ich habe es geahnt. Vorurteile, zumal aus meiner vorjournalistischen Zeit, sind wie die Verpackungen von Schokoriegeln – ein Mal gebraucht können sie dann auch weg. Axel Hacke sitzt vor mir, fletzt sich in den unbequemen Stuhl, wie ich es selbst gern mache. Ein Bein hat er quer über das andere geschlagen, als wolle er zunächst eine Grenze abstecken. Er mault eher, als dass er nach bayerischer Manier posaunt. Mir ist das „norddeutsche Moment“ des Wahlmünchners sympathisch. Tja. Auch, wenn der Mann weiß, wie er sich andere vom Hals hält – ihn nicht zu mögen schaffe ich an diesem Donnerstagmorgen nicht.
Was hältst du von Axel Hacke und seinen Büchern? Kennst du den kleinen Erziehungsberater?
Deine Tanja
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